Mastering the New - Über die Wiedergeburt von Massenbewegungen

Brexit. Trump. Johnson. Macron. Kurz. Greta. Querdenker. Aufbegehren gegen etablierte Systeme, Wahrheiten und Überzeugungen ist zur neuen Normalität geworden. Wir bewegen uns wieder in ein Zeitalter der (Massen)Bewegungen.

Historisch gesehen ist das nichts Neues. Aber während der Zeit, die seit den Bürgerrechtsbewegungen, dem Studentenbewegungen der 60er Jahre und den Anti-Vietnam-Protesten verstrichen ist, war die Politik im Großen und Ganzen in den Händen von Parteien; links gegen rechts, Christliche gegen Sozialisten, rot gegen blau.

Aber es ändert sich etwas: Parteipolitik wird derzeit von Bewegungen überholt, manchmal sogar überrollt; und der Parteipolitiker wird durch den „Bewegungspolitiker" ersetzt. Die Antwort auf das Warum ist komplex, aber eine Sache ist klar: Die Öffentlichkeit ist der politischen Elite überdrüssig, die scheinbar zu einer Kaste geworden ist, die den Kontakt zur Basis verloren hat. Daran hat auch Covid-19 nichts geändert, vielmehr hat die Pandemie auch hier wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Falsche Versprechungen, chaotische Shutdown-Maßnahmen und eine miserable Kommunikation haben die Politik nur noch weiter von ihren Wählerinnen und Wählern entfernt. Kein Wunder also, dass die Massen Kontra geben - sowohl in den Wahlkabinen als auch auf der Straße. 

Vox Populi, die Stimme des Volkes für sich nutzbar machen.

Aber blicken wir auf die letzten Jahre zurück, so erkennt man die Macht der Bewegungem: In Frankreich marschierte der zuvor unbekannte Emmanuel Macron als Kommandeur seiner eigenen politischen Bewegung in den Élysée-Palast. Im Vereinigten Königreich fanden 51,9 Prozent der Bevölkerung ein Leben außerhalb der EU und mit Boris Johnson attraktiver als eines innerhalb der EU. In den USA gewann ein Immobilien-Tycoon die Kontrolle über die Republikaner und konnte mit seiner Bewegung nicht nur die US-Präsidentschaftswahl für sich entscheiden, sondern fast auch noch eine der ältesten Demokratien der Welt aus den Angeln heben. In Deutschland zog eine rechte Bewegungen mit 94 Sitzen in den Bundestag ein und erschüttert so eine Insel der Stabilität. In Österreich gewann die “Liste Kurz” die Parlamentswahlen und auch hier nahm sich die konservativen Partei im Auftritt geschlossen zuginsten des Spitzenkandidaten und seiner Bewegung zurück. Die Bewegung Fridays for Future bracht die globale Erwärmung mit einem Schlag in die Hauptnachrichten und Black Lives Matter überrollt die Welt mit einer nie dagewesenen Gerechtigkeitsdynamik

Große Trends und Bewegungen

Es gibt mehrere Kräfte, die diesen Bewegungen Schwung verleihen. Dazu gehört die schrumpfende Wirkung traditioneller Medien in Kombination mit dem Aufstieg sozialer Medien. Soziale Medien wirken dabei als Mobilisierungsinstrument, weil sie es ermöglichen, jede neue Bewegung und jeden Trend mit noch nicht da gewesener Geschwindigkeit zu verbreiten, noch bevor in der breiten Öffentlichkeit darüber diskutiert wird – auch über Ländergrenzen hinweg. Dabei wird die lineare Kommunikation zugunsten einer Failing-Forward-Kommunikation, die sich ständig neu erfindet und dabei wiederholt, aufgegeben. In Wahrheit macht das die Menschen nur glauben, es handle sich um einen kommunikativen Austausch, vielmehr ist diese neue Art der Kommunikation eine Art von perfekter Anpassung der Kommunikationsinhalte mit dem Ziel, Verhalten wesentlich subtiler zu steuern und zu verändern.

Gleichzeitig verändert sich die Dynamik des Vertrauens, was auch ganz deutlich in der Pandemie-Zeit zu sehen war. Zunehmendes Vertrauen gewinnen Gleichaltrige, Freunde, Familie, Kollegen und „Influencer“, die sich so verhalten und auch so fühlen, als wären sie Teil unseres engsten sozialen Kreises. Hinzu kommt verstärkend, dass auch das Misstrauen gegenüber traditionellen Eliten, öffentlichen Institutionen, Politikern und Akademikern sowie traditionellen Medien immer stärker zunimmt.

Megatrends und Ereignisse wie die letzte große Finanzkrise sowie die Covid-19-Pandemie sind nur zwei Beispiele dafür, wie die öffentliche Meinung durch ein organisches, dynamisches und auch von Mundpropaganda getriebenes Mediensystem verändert werden kann.

Was Bewegungen fördert

Was an den unterschiedlichen Bewegungen interessant zu beobachten ist, sind die Eigenschaften, die sie gemein haben. So passieren Veränderungen immer dann, wenn eine Kombination aus „richtigem“ Kontext, effektiver Kommunikation, passender Führung und etwas Glück vorliegt. Professionelle Kommunikations- und Marketingexperten versuchen sich gelegentlich mit unterschiedlichen Ergebnissen an dieser Kombination. Diejenigen, die erfolgreich sind, erzielen mit emotionalen Botschaftern eine signifikante öffentliche Bindung an Marken, wozu durchaus auch Menschen zählen. Bei einem Scheitern jedoch können die Folgen schwerwiegend sein, wie der etwa der Aufstieg und Fall von Martin Schulz und die danach folgende Marginalisierung der SPD gezeigt hat.

Aus unserer Sicht gibt es fünf Schlüsseleigenschaften, die eine Bewegung zur Bewegung machen:

  1. Bewegungen haben ein klares Ziel. Starke Bewegungen sind in der Lage, einen deutlichen Kurs abzustecken und ihre Basis durch ein klares Ziel zu begeistern. Gleichgültig ob es darum geht, eine Wahl zu gewinnen oder soziale Missstände zu bekämpfen.

  2. Bewegungen sind zuordenbar. Um mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren und sie zu involvieren, knüpfen Bewegungen am Alltag der Menschen an. Sie geben den Menschen das Gefühl, dass eine Sache mit ihnen zu tun hat. Donald Trump oder Boris Johnson schafften es, Gedanken, Worte und Ideen zu verwenden, die Millionen von US- bzw. UK-Bürgern ansprachen und verstanden. Dem Österreicher Sebastian Kurz gelang es, die radikalen Ansätze des rechten Lagers in gesellschaftlich gerade noch akzeptierte Formulierungen zu gießen und so moralische Barrieren kommunikativ zu überwinden.

  3. Bewegungen wachsen organisch. Professionelle Kommunikatoren können eine Bewegung ins Leben rufen, anstoßen und unterstützen, aber sie können sie nicht primär durch professionelle Maßnahmen anheizen.

  4. Bewegungen sind dezentralisiert.  Selbst ohne einen klaren Anführer können Bewegungen Einfluss haben. Es ist diese „Macht des Volkes“, die Bewegungen voranbringt. Die TeaParty, Occupy; MeToo, Fridays for Future oder Black Lives Matter sind dafür Beispiele.

  5. Bewegungen sind authentisch. Es ist entscheidend in Form und Inhalt als authentisch zu gelten. Wenn die Öffentlichkeit wahrnimmt, dass die Bewegung auf etwas Anderem basiert als dem, worum es bei der Botschaft geht, wird die Bewegung schwer vorankommen. Marketing-Tricks und rein taktische Maßnahmen nur kommerziell orientierte Akteure unterliegen diesem Risiko stark.

Das New Normal

Nachdem Bewegungen für einige Jahrzehnte an Bedeutung verloren hatten, erleben sie im 21. Jahrhundert plötzlich wieder eine Renaissance. Sie sind auferstanden und Menschen folgen - nicht nur in Zeiten einer Pandemie - wieder dem Ruf Einzelner oder einer Idee von mehr Gerechtigkeit in einem herrschenden System. 

Was nun uns als Berater betrifft, so haben wir mittlerweile gelernt, dass uns heute (noch) kein Werkzeug zur Verfügung steht, dass die inhärente Kraft einer Bewegung garantiert erschaffen kann. Diese Garantie wird es auch nie geben, aber wir lernen, was Bewegungen benötigen, um überhaupt entstehen zu können. Auch können wir die Entstehung und Eigenschaften großer Bewegungen mittlerweile gut analysieren, trotzdem ist jede Bewegung einzigartig und kann nicht beliebig kopiert oder reproduzieren werden.

Jede Bewegung muss neu erschaffen werden. Das wiederum bedarf echter Könner, denn ein solcher Aufbau ist die Essenz dessen, was strategische Kommunikationsberater wie das BoC mit ihrer Arbeit erreichen wollen. Ob für ein Produkt, ein Unternehmen, eine Person oder eine politische Partei, das spielt nicht die entscheidende Rolle, vielmehr lautet unsere conditio-sine-qua-non, dass wir bei aller Kreativität und allem Können bei unserer Arbeit zu jeder Zeit die demokratischen und legalen Leitplanken im Auge behalten. Auch das verstehen wir als BoC unter Mastering the New.

Ihr

Ernst Primosch

Über den Autor:

© 2024 BoC -  Mag. Ernst Primosch ist CEO des Bureau of Communication, einer Kommunikations- und Markenschmiede in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er begann seine Karriere in der Markenartikelindustrie, war in führenden globalen Managementfunktionen bei einem Fortune Global 500 tätig, führte zwei der renommiertesten Beratungsunternehmen und positionierte Marken wie Henkel. Er lehrt an Universitäten und Hochschulen. Zuletzt publizierte er das Buch „Psychologie der Marke“.

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